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1.3 Herkunft und lexikalische Parallelen des Lehnwortbestands

In der Auswertung des Wörterbuchmaterials ist es nun möglich, den Grad an "Vernetzung" des Teschener Lehnwortbestands mit den anderen untersuchten Sprachgebieten des westslavischen Raums zu bestimmen. Es zeigt sich, daß nur für 9,8 % des Gesamtbestands an deutschen Lehnwörtern von 839 Lemmata keine lexikalischen Parallelen außerhalb des Teschener Dialekts aufgefunden werden konnten. Bei diesen Wörtern kann es sich um isolierte Bildungen handeln; oftmals fehlen aber auch nur Belege in den konsultierten Wörterbüchern der umgebenden Dialekte. Auf der anderen Seite sind 14,5 % der Lemmata so gebräuchlich, daß in allen untersuchten Varietäten Äquivalente festgestellt werden konnten: in der polnischen Schriftsprache (einschließlich ihrer historischen Vorläufer), in den polnischen Dialekten (ohne Oberschlesien), im oberschlesischen Polnischen, in der tschechischen Umgangs- oder Schriftsprache sowie in den tschechischen Dialekten des mährisch-schlesischen Grenzgebiets. Bei diesen 122 Lemmata kann nur aufgrund philologischer Untersuchungen im Einzelfall bestimmt werden, auf welchem Wege das Lehnwort in den Teschener Dialekt gelangt ist. - Weiterhin konnte bei 46,5 % der Lemmata mindestens eine Entsprechung in der polnischen Schriftsprache ermittelt werden; bei 53,6 % gibt es Parallelen im Tschechischen. Über Äquivalente in den oberschlesischen Dialekten des Polnischen verfügen 58,6 % der Lemmata, und für die schlesischen Dialekte des Tschechischen liegt der Anteil sogar bei 62,0 %. Es bestätigt sich, daß die Ähnlichkeit des lexikalischen Bestands zu den Nachbardialekten größer ist als zu den beiden Schrift- oder Standardsprachen. Oberschlesien und das mährisch-schlesische Grenzgebiet scheinen in lexikalischer Hinsicht zusammen ein relativ einheitliches und gut abgrenzbares Dialektgebiet zu bilden.

Allein aus dem Vergleich der Beleglage läßt sich allerdings nur unzureichend auf die Vermittlungswege des untersuchten Lehnwortbestands in den Teschener Dialekt schließen. Zwar kann man feststellen, daß 16,8 % der Lemmata über Parallelen nur im Polnischen (standardsprachlich oder dialektal, ausgenommen Oberschlesien) verfügen. Ein fast genauso hoher Anteil, 14,9% der Lemmata, läßt sich außer im Teschener Dialekt nur noch in den ausgewerteten Quellen zum Tschechischen (standardsprachlich oder dialektal) belegen. Immerhin 14,9 % der Lemmata sind auf Oberschlesien und "Mährisch-Schlesien" (mit den polnischen und tschechischen Dialekten) beschränkt. Allerdings finden sich für 31,1 % der Lemmata Belege sowohl in der polnischen als auch in der tschechischen Standard- oder Umgangssprache. Und 31,6 % sind sowohl im Polnischen Oberschlesiens als auch im Tschechischen belegt. Das bedeutet, daß für 43,5 % der Lemmata die Angaben zur Vermittlung in den Teschener Dialekt widersprüchlich sind, weil diese Lemmata im Tschechischen und entweder im oberschlesischen Polnischen oder im Polnischen (gemäß WDLP) vorkommen.

Die Einzelanalyse der Lemmata liefert vergleichsweise bessere Resultate. Im Ergebnis läßt sich hier feststellen, daß das Lehnwortgut deutscher Provenienz im Teschener Polnischen relativ gleichmäßig auf Vermittlung aus den umgebenden Sprachgebieten zurückgeht. 21,6 % des in unserem Wörterbuch enthaltenen Materials stammt mit recht hoher Sicherheit aus dem Polnischen. Hier sind Einflüsse der Standardsprache und solche des kleinpolnischen Dialekts zusammengefaßt. Regionalismen des oberschlesischen Polnischen machen 21,0 % des Bestands an deutschen Lehnwörtern aus. Diese Wörter sind häufig auch in den tschechischen Dialekten Schlesiens oder Nordmährens festzustellen. 19,9 % des Bestands entstammt unseren Quellen zufolge aus dem Tschechischen. Dies sind Wörter mit Parallelen zumeist in der tschechischen Umgangssprache, aber nicht im Polnischen. 16,3 % sind auf das Teschener Polnische selbst beschränkte Lehnwörter, die in anderen Dialektwörterbüchern nicht nachgewiesen werden konnten. Ob dies an Mängeln der Materialgrundlage liegt oder ob diese Wörter tatsächlich ein stark eingeschränktes Verbreitungsgebiet haben, kann hier nicht entschieden werden. Schließlich lassen sich für 21,2 % des in unserem Wörterbuch enthaltenen Wortbestands keine genauen Angaben über den Entlehnungsweg aus dem Deutschen in den Teschener Dialekt machen. Wie bereits angedeutet, kann es sich hier erstens um Wörter handeln, die sowohl im Tschechischen als auch im Polnischen verbreitet sind, oder zweitens um solche, die sowohl im Tschechischen als auch in den oberschlesischen Dialekten des Polnischen vorkommen, aber nicht im zentralen Sprachgebiet des Polnischen. In beiden Fällen sind Parallelentwicklungen in den jeweiligen Sprachgebieten nicht auszuschließen.

Die Ergebnisse dieser numerischen Auswertung bestätigen, daß im Teschener Raum verschiedene sprachlich-kulturelle Strömungen aufeinandertrafen und sich in hohem Ausmaß durchmischten. Dabei ist sehr aufschlußreich, daß keine dieser Strömungen eindeutig dominierte. Zu ungefähr gleichen Teilen stehen einander im Teschener Dialekt polnisch vermittelte deutsche Lehnwörter, tschechisch vermittelte Lehnwörter, oberschlesische Regionalentlehnungen und offensichtlich nur lokal bekannte, auf den Teschener Dialekt selbst beschränkte Lehnwörter gegenüber. Dies ist eine für das Westslavische in dieser Mannigfaltigkeit und doch auch Ausgewogenheit einmalige Situation. Künftigen Untersuchungen des Teschen-polnischen Wortschatzes bleibt es vorbehalten zu überprüfen, ob sich dieses interessante Ergebnis auch im autochthon-westslavischen Wortschatz wiederfindet: Ein Desiderat für zukünftige Forschungen zum Teschener Dialekt wäre die systematische Gegenüberstellung der nicht-entlehnten lexikalischen Elemente aus dem Polnischen, dem Tschechischen sowie den kleinpolnischen und mährischen Dialekten. Schließlich wäre auch das Verhältnis zwischen slavischem Wortschatz und Entlehnungen allgemein (das heißt nicht nur den Entlehnungen aus dem Deutschen) zu untersuchen. In diesem Sinne ist die vorliegende Studie nur ein Schritt zur Erforschung der sprachlichen Auswirkungen kultureller Wechselseitigkeit im oberschlesisch-nordmährischen Raum.

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