Kommission Kulturelle Kontexte des östlichen Europa in der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft e. V. (KKKöE) -
zu Gast beim BKGE
Über uns - Profil
Was sind zeitgemäße Forschungsfelder einer kontextuell denkenden Ethnografie und Kulturanalyse des östlichen Europas? Wie lässt sich Europa von seinen östlichen Grenzen und Peripherien her denken und methodisch erforschen? Welche Blicköffnungen ermöglichen die Erfahrungskontexte vielsprachiger und multiethnischer Lebensrealitäten vor dem Hintergrund zunehmender nationalistischer Verengung? Welchen Stellenwert nehmen die traditionellen Forschungsfelder einer Volkskunde der Heimatvertriebenen und (ehemaligen) deutschsprachigen Minderheiten im östlichen Europa weiterhin ein? Welche Verständnishorizonte bieten sie in einer von Flucht, Vertreibung und ethnischen Säuberungen geprägten Gegenwart? Wie reagieren wir auf ideologische Geschichtsbilder und ausgrenzende Identitätsentwürfe? Wie lässt sich der latente Westzentrismus gegenwärtiger kulturanthropologischer Forschung relativieren?
Die Kommission „Kulturelle Kontexte des östlichen Europas“ in der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft geht bereits auf das Jahr 1949 (damals als „Kommission für Volkskunde der Heimatvertriebenen“) und den Wunsch zurück, die Vielfalt der kulturellen Überlieferungen der nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Ländern des östlichen Europas Geflüchteten und Vertriebenen zu dokumentieren und ihre Integration in die deutschen und westeuropäischen Nachkriegsgesellschaften zu begleiten. Heute widmet sich die Kommission Fragen transnationaler Verflechtungen und multiethnischer Bezüge innerhalb des östlichen Europas und darüber hinaus. Aus historischen und gegenwartsbezogenen Perspektiven stehen kulturelle Kontexte und Wechselbeziehungen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.
Kontakt/Sprecher*innen
- PD Dr. Marketa Spiritova
Institut für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte
bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München
marketa.spiritova@volkskunde.badw.de
- PD Dr. Tobias Weger
Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas
an der LMU München
weger@ikgs.de
Aktuelles
Call for Papers
Kommissionstagung 2026
Trauma im östlichen Europa –
Begriff, Erfahrung, Gedächtnis in Ethnografie und historischer
Anthropologie / Trauma in Eastern Europe – Concept, Experience, Memory in Ethnography and Historical Anthropology
12.–13. Juni 2026 ǀ Graz, Österreich
Veranstaltet von:
- Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Graz
- Arbeitsbereich Südosteuropäische Geschichte und Anthropologie am Institut für Geschichte der Universität Graz
- Kommission für Kulturelle Kontexte des östlichen Europas in der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft
- Johann Gottfried Herder-Forschungsrat
Die Gesellschaften des östlichen Europas sind in Vergangenheit und Gegenwart vielfältig von politischer und gesellschaftlicher Gewalt gezeichnet, von Krieg und Genozid, Vertreibung und Verfolgung. Vor allem aus westlicher Perspektive werden diese Erfahrungen in jüngerer Zeit in Begriffen des kollektiven oder individuellen Traumas gefasst.
Hierzu versucht die Tagung in drei ineinandergreifenden Bereichen ethnografischen, historisch-anthropologischen und ethnopsychoanalytischen Forschens einen Perspektivenwechsel: Tagungsbeiträge reflektieren die Begrifflichkeiten des Traumatischen in historischen und gegenwärtigen Kontexten des östlichen Europas. Sie erweitern das methodische Repertoire der Ethnografie um das subjektorientierte Forschen mit und über Menschen mit Gewalterfahrungen in östlich-europäischen Milieus, und sie fragen nach den Orten, Prägungen und Praktiken traumatischer Kollektivgedächtnisse.
Der Call richtet sich an interdisziplinär Forschende in ethnografisch, historisch und ethnopsychoanalytisch arbeitenden Fachbereichen. Gebeten wird um Beiträge aus süd-/ mittel-/ost-europäischen Forschungs- und Erfahrungsfeldern sowie aus Flucht- und Diasporagebieten. Sie beschäftigen sich mit diesen und ähnlichen Fragen:
1. Begrifflichkeiten
Wie wurde Trauma im östlichen Europa im Laufe des 20. Jahrhunderts gedacht, beschrieben und verhandelt?
In diesem Themenfeld interessieren uns Beiträge, die die sprachlichen, medizinischen und gesellschaftlichen Deutungsmuster für gewaltvolle Erfahrungen in ihren historischen Kontexten untersuchen. Welche Begriffe standen und stehen zur Verfügung, um Krieg, Verfolgung, politische Repression oder strukturelle und physische Gewalt als Verletzung des Selbst zu benennen – und welche Erfahrungen blieben namenlos? Welche Konzepte von psychischer Erschütterung oder seelischem Leid wurden und werden in medizinischen, staatlichen, religiösen oder kulturellen Kontexten verwendet – und wie unterscheiden sie sich in unterschiedlichen politischen Regimen, etwa unter Monarchie, Faschismus, Sozialismus oder im postsowjetischen Raum?
Neben der Rezeption internationaler Klassifikationen – etwa des westlich geprägten PTSD-Begriffs – interessieren uns auch eigenständige oder wenig beachtete Konzeptionen von Trauma, wie sie sich etwa im polnischen „KZ-Syndrom“ oder in regionalen Diagnosepraktiken abzeichnen. Beiträge können danach fragen, wie solche Konzepte entstanden, mit welcher gesellschaftlichen Deutungsmacht sie ausgestattet waren – und welche ihrer Grenzen, Auslassungen oder Übersetzungsprobleme sich in der historischen wie ethnografischen Forschung zeigen.
Darüber hinaus geht es um die Frage, wie Begriffe des Traumatischen das Erzählen – und das Schweigen – über Gewalt geprägt haben. Wie wird über Zerstörung, Verlust und seelische Not gesprochen, wenn keine standardisierten Begriffe zur Verfügung stehen? In welchen Situationen wurde und wird Leid individualisiert, pathologisiert oder kollektiviert – in ethnografischen Gesprächen und Interviews, in Archivquellen, in alltäglichen Gesprächskontexten? Und welche Rolle spiel(t)en kulturelle Ausdrucksformen – Literatur, Theater, Film, Musik – bei der Formung alternativer Sprachen des Traumas?
Beiträge sind eingeladen, diese Dynamiken aus historischer, ethnografischer oder diskursanalytischer Perspektive zu beleuchten und damit auch zu fragen, wie Erinnerung, Begrifflichkeit und gesellschaftliche Deutungshoheit ineinandergreifen.
2. Forschungspraktiken
Wie beforschen wir traumatische Erfahrungen in Vergangenheit und Gegenwart?
Hierzu stellen sich diese und ähnliche Fragen: Wie gehen Forschende mit emotionalen und assoziativen Übertragungen zu gewaltsamen und traumatischen Erlebnissen in Forschungsgesprächen, aber auch in historischen Materialien um? Wie lässt sich darüber schreiben? Wie lässt sich zwischen dem Traumaerleben von Forschungspartner:innen und emotionalen Belastungen der Forscher:innen differenzieren und Distanz herstellen?
Welche methodischen und forschungsethischen Erweiterungen sind nötig?
Wie wirken gesellschaftliche Diskurse und Voreingenommenheiten in die Forschung ein, wie lässt sich damit umgehen? Wie wird die Forschung über traumatische Erfahrungen durch unseren wissenschaftlichen und persönlichen Blick, unsere Erfahrungshintergründe und die Voreinstellungen gesellschaftlicher (westlicher) Diskurse beeinflusst? Welche Rolle spielen im östlichen Europa verwurzelte Zeitzeug:innen als Forschende zu Gewalt und Trauma?
Wie kann der empathische Blickwechsel methodisch-ethnografisch oder historisch-anthropologisch begründet werden? Welche methodischen Beiträge zum Verstehen von Traumaerleben in Zusammenhängen von gesellschaftlicher Macht und Gewalt leistet die Ethnopsychoanalyse?
3. Kollektivgedächtnisse
Welche Umgangsweisen von Erinnern und Vergessen zeigen sich in kollektiven Gedächtnissen?
Wie manifestiert sich das (Post)Genozidale in kollektiven Gedächtnissen? Welche Rolle spielen Alltagspraxen (Erzählungen, Witze, Lieder, Mythen, Filme, Anekdoten) bei der Archivierung, Konservierung, Verfestigung, Überschreibung, Relativierung, Verharmlosung sowie Leugnung von Traumata? Welche gesellschaftlichen, politischen, kulturellen Dynamiken bringen sie hervor?
An welchen Orten und Räumen (Schauplätze von Verbrechen, Gedächtnisorte, Verhandlungs- und Vermittlungsorte, Orte der Diaspora, Social Media, Kunst) werden Erinnerungen ausverhandelt? Wie gehen Menschen und Bewegungen mit Umschreibungen und Unterdrückungen kollektiver Gewaltgedächntnisse um?
Wie werden Gewaltgedächtnisse aufgearbeitet? Welchen Herausforderungen begegnet die akademische und aktivistische Erinnerungsarbeit? An welchen theoretischen Konzepten kann sich die Erinnerungs- und Gewaltgedächtnisforschung des östlichen und südöstlichen Europa orientieren und welche Bedeutung können dabei Rassismusforschung (Antiziganismus, Antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus) und Dekoloniale Theorien haben?
Wir freuen uns auf Einreichungen in englischer Sprache. Abstracts sollten 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen nicht überschreiten. Sie enthalten eine knappe inhaltliche Zusammenfassung, Angaben zu Kontexten der Forschung, zu fachlichen, methodischen und theoretischen Zugangsweisen und den Bezügen des Beitrags zum Tagungsthema.
Geplant ist eine Publikation der Tagungsbeiträge, erwartet werden daher bislang unveröffentlichte Texte und die Bereitschaft, den eigenen Vortrag für die Publikation zu bearbeiten.
Die Einreichungen und etwaige Fragen richten Sie bitte an folgende E-Mail-Adresse:
projekt.kulturanthropologie@uni-graz.at
Einsendeschluss ist der 1. Dezember 2025.
Für prekäre und nicht institutionelle Vortragende, insbesondere aus dem östlichen Europa, bemühen wir uns um anteilige Übernahme von Reisekosten und Übernachtungen.
Das Organisationsteam in Graz wird die Beiträge auswählen und das Programm zusammenstellen. Eine Benachrichtigung über Annahme oder Ablehnung erfolgt Mitte Januar 2026.
Wir freuen uns auf viele interessante Bewerbungen und eine spannende Tagung!
Für die Organisator:innen:
Katharina Eisch-Angus, Heike Karge, Kristina Trummer, Medina Velic
Deadline: 1st December 2025
Termine
Kommissionstagung 2026
Trauma im östlichen Europa – Begriff, Erfahrung, Gedächtnis in Ethnografie und historischer Anthropologie / Trauma in Eastern Europe – Concept, Experience, Memory in Ethnography and Historical Anthropology
12.–13.06.2026 ǀ Graz, Österreich
Jahrestagung 2025 des IKDE Freiburg
Zukunftsorientierungen des Erinnerns. Das Beispiel "Flucht und Vertreibung"
02.-04.07.2025 ǀ Freiburg i. Fr.
Tagung aus Anlass des 75-jährigen Bestehens von Herder-Institut und Herder-Forschungsrat
Ostmitteleuropa-Forschung im Fokus: Rückblicke - Ausblicke - Umbrüche
04.–05.6.2025 ǀ Marburg
Kommissionstagung 2024
in Kooperation mit dem Johann Gottfried Herder-Forschungsrat
Im|Materielles kulturelles Erbe als Praxis. Rekonstruktionen und Reinszenierungen in Mittel- und Osteuropa
25.–26.7.2024 ǀ München
Jahrestagung 2022 des IVDE Freiburg
in Kooperation mit der Kommission Kulturelle Kontexte des östlichen Europa
Lager. Inszenierung und Musealisierung
14.–16.11.2022 | Göttingen
Kommissionstagung 2018
Rückschau und Wegbestimmung – Eine Arbeitstagung
6.–7. 12.2018 | Heiligenhof in Bad Kissingen
Ausstellungen
Sonderausstellung
„Bruder mein, schenk frisch ein, lass uns alle lustig sein!“ – Keramik und Ritual
3. Oktober 2025 bis 22. Februar 2026
Gundelsheim am Neckar: Siebenbürgisches Museum
Schloss Horneck 1
74831 Gundelsheim
Tel. 06269-90621
https://www.siebenbuergisches-museum.de
Öffnungszeiten: Di-So, Feiertag 11-17 Uhr
In Siebenbürgen gibt es eine lange Tradition der Keramikproduktion, die in einigen wenigen Orten bis heute lebendig ist.
Neben den Töpferwaren für den alltäglichen Gebrauch gab es dort auch solche, die nur zu bestimmten Anlässen genutzt wurden. Mit diesen besonderen Gefäßen sind Bräuche und Rituale innerhalb der Gemeinschaft, etwa der Zünfte, der Nachbar- und Bruderschaften, verknüpft, die in der Ausstellung anhand der Objekte vermittelt werden.
Oft sind diese Kannen und Krüge mit Trinksprüchen wie dem Ausstellungstitel versehen oder geben die Namen ihrer Stifter preis und vermitteln so ein Stück Sozialgeschichte der siebenbürgisch-sächsischen Ortschaften vom 18. bis ins 20. Jahrhundert.
Außer den Ritualen der Institutionen gab es auch viele, die mit dem Lebenslauf der Menschen eng verbunden waren, so beispielsweise Bräuche zu Hochzeit, Kindbett oder Taufe, für die es besondere Gefäße gab. Wer etwa weiß heute noch, was eine „Gevatterpfanne“ war und welche Funktion diese einst hatte?
Dies und vieles mehr kann in der Ausstellung anhand originaler, historischer Keramikobjekte aus der Sammlung des Siebenbürgischen Museums Gundelsheim entdeckt werden.
Publikationen
Die Forschungsergebnisse der Kommission werden im Jahrbuch „Kulturelle Kontexte des östlichen Europas“ veröffentlicht, das neben seinem Aufsatzteil auch über einen umfangreichen Berichts- und Rezensionsteil verfügt.
Darüber hinaus gibt die Kommission eine derzeit (Stand 2024) 97 Bände umfassende Schriftenreihe heraus, die 2025/2026 durch den Sammelband „Im|Materielles kulturelles Erbe als Praxis. Rekonstruktionen und Reinszenierungen in Mittel- und Osteuropa“ ergänzt werden wird.
Jahrbücher
- Jahrbuch Kulturelle Kontexte des östlichen Europa. 2022 (62)
Elisabeth Fendl, Tobias Weger, Sarah Scholl-Schneider (Hrsg.): Heimatliche Enklaven? Bildungs- und Begegnungsstätten von Vertriebenen und Aussiedlern. Münster u.a. 2022 - Jahrbuch Kulturelle Kontexte des östlichen Europa 2020 (Band 61)
Elisabeth Fendl, Johanne Lefeldt, Sarah Scholl-Schneider (Hrsg.): Vom Dekor der Heimatzeitschriften. Münster u.a. 2020.
Aus der Schriftenreihe der Kommisssion
- Band 97: Zsolt Vitári: Generative Sozialisation und/oder ethnische Mobilisierung. Deutschungarische Kinder und Jugendliche im Volksbund und in der Deutschen Jugend. Münster: Waxmann 2024. E-Book (PDF). ISBN: 978-3-8309-9075-8. Preis: 57,99 €.
- Band 96: Kristina Kaiserová, Miroslav Kunštát (Hrsg.): Die Suche nach dem Zentrum. Wissenschaftliche Institute und Bildungseinrichtungen der Deutschen in Böhmen (1800-1945), Münster: Waxmann 2014. ISBN 978-3-8309-3202-4. Preis: 42,90 €.
- Band 95: Veronika Shumska: „Gott hat die Fremden lieb“. Zur Rolle der Frömmigkeitsvermittlung bei Zuwanderern aus der Sowjetunion und Nachfolgestaaten am Beispiel zweier religiöser Gemeinden in Freiburg, Münster: Waxmann 2012. ISBN: 978-3-8309-2754-9. Preis: 29,90 €.
- Band 94: Sarah Scholl-Schneider: Mittler zwischen Kulturen. Biographische Erfahrungen tschechischer Remigranten nach 1989, Münster: Waxmann 2011. ISBN: 978-3-8309-2574-3. Preis: 29,90 €.
Lehrveranstaltungen
Wintersemester 2025/26
Nach der (Zwangs-)Migration aus dem östlichen Europa nach 1945: Biografische Narrative und museale Repräsentationen, Seminar (Marketa Spiritova, LMU München)
Die nationalsozialistischen Umsiedlungen deutscher Minderheiten aus Südosteuropa: Bessarabien, Bukowina, Dobrudscha, Gottschee, Seminar, 2025/26 (Tobias Weger, LMU München)
Sommersemester 2025
Beziehungen Südosteuropas zum Osmanischen Reich, Seminar, 2025 (Tobias Weger, LMU München)
Fashion Revolution, Polish #Black Monday and more … Postdigitale Protestkulturen erforschen, Seminar (Cornelia Eisler, Universität Oldenburg)