Künstler
Der französische Fotograf, Installationskünstler und „Visual Artist" Laurent Millet (geb. 1968 Roanne) lebt und arbeitet in La Rochelle und unterrichtet an der Kunstschule (Ecole Supérieure des Beaux Arts) in Angers. Er verwendet unterschiedliche Materialien, Techniken und Medien (Fotografie, Skulptur, Malerei, Video, Installation). In seinen Werken interpretiert er u. a. Gedanken und Realitätsbegriffe, das metaphysische Sein oder die An- und Abwesenheit von Erinnerung, Bewusstsein und Wahrnehmung; Millets Werke sind in Ausstellungen und Sammlungen international vertreten.
Werk
„Les derniers jours d'Emmanuel Kant" [„Die letzten Tage des Immanuel Kant"], 2008-2009, 12 Fotografien, teils 60 x80 cm, z.T unterschiedliche Grössen; die Fotografien sind mit folgenden Bezeichnungen versehen:
- Allons Monsieur Kant
- Calmez vous Monsieur Kant
- Doucement Monsieur Kant
- Encore un effort Monsieur Kant
- Ne faites pas l'enfant Monsieur Kant
- Ne vous fatiguez pas Monsieur Kant
- Pas si vite Monsieur Kant
- Tout va bien Monsieur Kant
- Un peu de sérieux Monsieur Kant
- Une illusion Monsieur Kant
- Vous vous trompez Monsieur Kant
- Vous y êtes presque Monsieur Kant
Interpretationshinweise: Das Thema der Fotografienserie geht auf die 1827 veröffentlichte Novelle „The Last Days of Immanuel Kant" des britischen Schriftstellers Thomas De Quincey (1785-1859) zurück. Diese zeichnet das nahende Lebensende Kants durch die Schilderung des allmählichen Schwindens seiner einst scharfen Sinne nach. Quincey beschreibt, wie Kant, dessen Werk „Kritik der reinen Vernunft" (1781) als zentrales erkenntnistheoretisches Werk der Aufklärungsphilosophie gilt, selbst immer weniger zur Wahrnehmung und zur Erkenntnis seiner Umgebung in der Lage ist.
Millets Werk spiegelt diese Thematik des Buches insofern wider, als die Aufnahmen der von ihm (nur zum Zwecke der Fotografie) geschaffenen skulpturalen Installationen bzw. Konstruktionen durch die Ausnutzung von Lichtreflexen, Schattierungen und Perspektiven Zweifel an der Zuverlässigkeit und Korrektheit der sinnlichen Wahrnehmung überhaupt aufkommen lassen. Millet scheint dabei von der Annahme auszugehen, dass die Dinge, welche die Menschen umgeben, von ihnen ohnehin nicht objektiv wahrnehmbar sind. So sind seine Aufnahmen Teile eines wahrnehmungs- und erkenntnispsychologischen Spiels zwischen Skulptur und Fotografie. Kants nachlassende Kräfte werden dabei zur Inspiration für Millets eigene Erkundungen des phänomenologischen Zweifels.
Die Fotos präsentieren reale, überwiegend abstrakte Objekte in Räumen, die durch Steckdosen, Lampen, Kabel, Möbelstücke oder andere Ausstattungen konkret erkennbar und insofern selbst nicht abstrakt konstruiert sind. Die Einbeziehung von Details der Atelierumgebung in die Fotografien kann als Verbindung des künstlerisch-kreativen Prozesses mit dem realen, praktischen künstlerischen Umfeld verstanden werden.
Die abgebildeten Objekte bzw. die Fotografien sind offen für Deutungen (Michael Wilson): Einige wecken Assoziationen in naturwissenschaftlicher Richtung: In „Calmez vous Monsieur Kant" und „Doucement Monsieur Kant" werden farbige, auf Drähten konfigurierte Würfel bzw. Kugeln gezeigt, die entfernt an molekulare oder atomare Modelle einer nicht sichtbaren Realität erinnern.
In „Allons Monsieur Kant" und „Une illusion Monsieur Kant" sind die durchsichtigen, durch einen einzigen Faden kaum sichtbar aneinander und an der Wand befestigten Kästen hauptsächlich durch die Schattenwürfe erkennbar, die sie erzeugen. Der Schatten scheint die Anordnung von drei Dimensionen in zwei zu verwandeln und insgesamt entsteht eine Verwirrung durch die kaum vorhandenen Sichtbarkeit (=Wahrnehmbarkeit) der transparenten dreidimensionalen Objekte und ihrem zwar gut wahrnehmbaren, sich aber nur in zwei Dimension manifestierenden Schatten.
In weiteren Fotografien werden Assoziationen durch das Zitieren von Werken anderer Künstler ergänzt. „Ne vous fatiguez pas Monsieur Kant" zeigt eine Reihe von mehrfarbigen Leuchtstoffröhren, die gegen eine weiße Wand gelehnt sind und von einem Scheinwerfer beleuchtet werden. Auch in „Pas si vite Monsieur Kant" tauchen die farbigen Röhren auf, nun in Form eines rahmenartigen Quadrats. Sie erinnern an ähnliche bunte Leuchtröhren-Installationen von Dan Flavin und Spencer Finch. Eva Hesse, Alexander Calder und Wladimir Tatlin können als weitere Quellen der Inspiration Millets gelten. Seine Konstruktionen verweisen damit auch auf ein breites modernistisches Spektrum von Kunst. Sie hinterlassen aufgrund ihrer Unbestimmtheit einen kritischen Zweifel an der menschlichen Fähigkeit, die Welt auf objektive Weise zu erkennen und wahrzunehmen.
Literaturangaben
- Michael Wilson: Laurent Millet – Robert Mann Gallery, „Les derniers jours d'Emmanuel Kant" (Review); in: Artforum International October 2010. https://www.artforum.com/print/reviews/201008/laurent-millet-39557
- Julie Ceminaud: Les derniers jours d'Emmanuel Kant (2009):
- https://docplayer.fr/6213063-Laurent-millet-solo-exhibitions-born-in-1968-lives-works-in-rochefort.html
- Homepage: http://www.laurent-millet.com
Copyright/ Aufbewahrungsort
©Laurent Millet. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Das Original befindet sich im Privatbesitz.
Publiziert im Oktober 2019.
Zitierweise
Matthias Weber: Immanuel Kant in Werken der modernen Kunst – Laurent Millet. https://www.bkge.de/Projekte/Kant/matthias-weber/Millet_Laurent.php