Künstler:
Jonathan Meese (geb. 1970), 1995 ̶ 1998 Studium an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste bei Franz Erhard Walther; 1998 erstmals Ausstellung auf der Biennale in Berlin. Meeses Arbeit umfasst Installationen, (Wand-)Gemälde, Zeichnungen, Drucke, Skulpturen, Videos, Texte und „Performances", die sich in der Art eines Gesamtkunstwerks vernetzen.
Werk:
„Immanuel Kant", 2007, Blatt aus der Mappe „Große Philosophen". Die Mappe besteht aus sieben einfarbig schwarz gedruckten Lithographien, die die Philosophen Friedrich Engels, Friedrich Nietzsche, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Immanuel Kant, Jean-Paul Sartre, Karl Marx und Martin Heidegger darstellen; Papierformat: 70 x 50 cm, Auflage: 20 Exemplare, Druck: Tabor Presse Berlin.
Interpretationshinweise: Meese ist bekannt für expressionistisch-provokante Werke, die Themen, Motive und Personen aus der Geschichte, der Mythologie und der Populärkultur nicht selten zu chaotischen, absichtlich verstörenden Bildern verschmelzen. Seine vielfach kontrovers beurteilte, variantenreiche Konzeptkunst beschäftigt sich insbesondere mit den Themen Politik, Macht und Nationalsozialismus sowie mit Sehnsucht, Identität und Mythen.
Die in der Mappe „Große Philosophen" enthaltenen Porträts einflussreicher Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts sind grotesk-verzerrt und stark verfremdet. Immanuel Kant ist in einer Art Narrenpose und in uniformähnlicher mit einer Zeichnung des (in Meeses Bildern omnipräsenten) Eisernen Kreuzes versehenen Kleidung wiedergegeben. Die Darstellungen können in der künstlerischen Tradition der „Groteske" gesehen werden, die zur Dekonstruktion der intellektuellen Leistung nicht nur Immanuel Kants und der anderen hier vertretenen Philosophen, sondern der Philosophie und in einem weiteren Sinn des bisherigen Kulturschaffens insgesamt eingesetzt wird. Diese in den Lithographien zum Ausdruck kommende Ablehnungshaltung ist radikal und kompromisslos. Sie fügt sich nahtlos nicht nur in den Gesamtkontext von Meeses Kunst, sondern in dessen programmatische Äußerungen über die Stellung von Kunst insgesamt ein.
Meese bringt in seinen teils provozierenden (auf zahlreichen YouTube Videos dokumentierten) „Performances" regelmäßig seine ebenso pauschale wie fundamentale Verachtung von Normen, Lehren und Gesetzen sowie die Verurteilung konventioneller Werte insgesamt zum Ausdruck. Ohne sich näher mit Einzelheiten auseinanderzusetzen, lehnt Meese pointiert sämtliche etablierten staatlichen und gesellschaftlichen Formen des Zusammenlebens und Formen von Kultur, Religion oder Politik kategorisch ab. Als einzig anzustrebendes, oft in plakativ-aggressiver Rhetorik propagiertes Ideal einer künftig sich zwangsläufig etablierenden Staatsform gilt für ihn die in jeder Hinsicht ideologiefreie „Diktatur der Kunst", der sich niemand entgegenstellen dürfe und der sich alle Menschen bedingungslos unterordnen müssten.
Werner Pelikan unterscheidet Meeses Haltung zum Verhältnis von Kunst und Gesellschaft von der Haltung Anselm Kiefers wie folgt: „Ganz anders dagegen die Art der Auseinandersetzung des Jonathan Meese mit dem, was wir ... als politisch-gesellschaftliche Zusammenhänge bezeichnet haben. Indem er es strikt ablehnt, andere zu irgendetwas veranlassen zu wollen, feuert er auf die Ordnungsweisen unserer Gegenwart geradezu wüst und zum Lachen chaotisch, wenn man bei ihm nur wüsste, worüber man eigentlich lachen soll. ... Für Meese hat die Moderne, wenn diese dann nach dem Einen, dem Klar-Sinnvollen sucht, restlos ausgedient." (Pelikan, S. 167)
Literatur
- Werner Pelikan: Mythen und Mythenbildung in Kunst und Werbung – Grundmuster der Kommunikation. Dissertation an der Universität Kassel Fachbereich Kunstwissenschaft, 2005. https://kobra.uni-kassel.de/bitstream/handle/123456789/2391/dis2261_20.pdf;jsessionid=E6881728E20C5B3E41A375C55953CE66?sequence=1
- Homepage Jonathan Meese: http://jonathanmeese.com/
Copyright/ Aufbewahrungsort
© VG Bild-Kunst; vorhanden im Stedelijk Museum Amsterdam, Objektnummer: 2007.1.0112(1-9)5. Die weitere Verbreitung dieser Abbildung ist ohne ausdrückliche Zustimmung der Rechteinhaber untersagt.
Publiziert im Juni 2019.
Zitierweise
Matthias Weber: Immanuel Kant in Werken der modernen Kunst – Jonathan Meese; https://www.bkge.de/Projekte/Kant/matthias-weber/Meese_Jonathan.php