Künstler
Bernhard Johannes Blume (1937-2011); Neo-Dadaist, Zeichner, Fotograf, Maler und Aktionskünstler.
Werk
„Kant zuliebe – Die reine Vernunft ist als reine Vernunft ungeniessbar“ (1981), vier Photographien und ein Textblatt auf Fotopapier, jeweils 76 x 50 cm, signiert und datiert auf dem Textblatt verso rechts unten.
Blume setzte sich in verschiedenen Fotosequenzen, aber auch in Essay- und Buchform intensiv mit der Philosophie Kants und Möglichkeiten ihrer Visualisierung auseinander. In der hier abgebildeten Fotosequenz schreibt Blume dem abstrakten Terminus „reine Vernunft“ visuelle Merkmale zu und versucht diese über einen entsprechenden Gegenstand zu veranschaulichen: „Ich zeige hier im Foto ein Gebilde vor mit rationalen Kanten. Es wirkt aus dieser Nahsicht leicht verschwommen. In seiner idealen weißen Sauberkeit steht es für Ordnung und für Reinlichkeit, fürs Technoide-Rationelle, weshalb es also eckig und nicht rund ist.“ Die beiden Quader vor dem Gesicht seien „idioplastische Portionen“. Damit soll in exemplarischer Objektform ein subjektiver Zustand der Gesellschaft angedeutet werden: „Vor Erkenntnis ist sie blind und krank vor Objektivität“. Erst der im Weiteren thematisierte „Verzehr“ bedeute Erkenntnis und selbst wenn die „eckige Rotation nicht unbedingt „in jedes individuelle Maul“ passe, bleibe das Ideal für den einzelnen letztlich unerreichbar und „womöglich unverdaulich".[1]
Die Kunsthistorikerin Jari Ortwig betont, dass Blume hier seine Auseinandersetzung mit Kants Kritik der reinen Vernunft„anschaulich formuliert“ hat: „Leitmotiv ist ein undefinierbarer weißer Gegenstand in Form eines Quaders, mit dem Blume selbst allerlei Aktionen anstellt. Zunächst hält er das Gebilde, dessen rechteckige Form dem Blattformat entspricht, der Kamera so entgegen, daß sein Gesicht von der in Nahaufnahme vergrößerten Hand verdeckt wird. Seine Person verschwindet so in der Anonymität. Blume schlüpft in die Rolle des Kleinbürgers (kleinkariertes Hemd, Tapete), um die Begegnung zwischen „reiner Vernunft“ und „alltäglicher Erfahrungswelt“ zu inszenieren. Nachdem er dem Betrachter den Gegenstand im ersten Blatt präsentiert hat, nimmt er das „komische Ding“ selbst unter die Lupe. Zwei verschieden große weiße Quader verdecken, in der Luft schwebend, jeweils ein Auge des Künstlers. Unmittelbar vor seinem zu einer Grimasse verzogenen Gesicht scheinen diese Gegenstände ihn zu irritieren. In der dritten Aufnahme versucht er, diesmal mit unverdecktem, aber dafür verschwommenem Gesicht und geschlossenen Augen, sich das eckige Gebilde in den Mund zu stecken. Beinahe gelingt es ihm, doch die Form ist zu kantig und offenbar ungenießbar. Wie ein Hund mit seinem Knochen im Maul schüttelt sich Blume, dessen Gesicht auf der vierten Photographie durch die heftige Bewegung verwischt ist. Vermutlich versucht er, das ungenießbare Etwas wieder loszuwerden. Der Schriftzug am Ende der Sequenz ist wie eine Erkenntnis hervorgehoben: Die reine Vernunft ist als reine Vernunft ungenießbar. Doch Abstraktes und Konkretes lassen sich nun einmal nicht vereinen, genauso wenig wie die reine Vernunft und die menschlichen Sinne. Mit seiner photographisch beglaubigten fünfteiligen Versuchsanordnung beweist Blume, in einer künstlerischen Abwandlung von Kants Form der „Kritik“, die Unvereinbarkeit der Sinne („Genießen“) mit der „reinen Vernunft“. Gegen die Verdrängung der gefühlten Welt im Namen ihrer rein rationalen Erfassung zielt Blume, ausgehend von Kant, auch heute auf ein Gleichgewicht von empirischem Verstand und Intuition, aus dem die Vernunft hervorgehen soll.
Literatur
- Anna und Bernhard Blume: Transsubstanz und Küchenkoller. O.O., 1986.
- Anna und Bernhard Blume (Hg.): Reine Vernunft. Köln 2008; dieser Band enthält zahlreiche weitere Arbeiten, die sich mit Themen der Philosophie Kants auseinandersetzen; Stichworte: das Schöne, Wohlgefallen, S. 49: „Die beharrliche Sinnsuche ist eine bedauerliche Disposition des Geistes“; S. 55: „Wir sind auf der Suche nach dem Ding an sich“; S. 68: „In der Bewunderung der Erhabenheit der Natur bewundern wir lediglich unseren eigenen intelligiblen Charakter“.
- Bernhard Johannes Blume: Hellsehen als Schwarzsehen. Quasiautobiographische Bemerkungen zu einigen Fotosequenzen (1971-1984). Augsburg 1986; darin über die Sequenz „Kant zuliebe“.
- Jari Ortwig: Werke in der Städtischen Sammlung Erlangen: Kant zuliebe, 1978/1981 <http://www.kunstpalais.de/de/47/Bernhard-Johannes-Blume.html?aid=49>
Anmerkung
[1] Die Zitate aus Blume: Hellsehen als Schwarzsehen (1986), S.7.
Copyright / Aufbewahrungsort
© Städtische Sammlung Erlangen, Inventar-Nummer: 1001548.1–4; die weitere Verbreitung dieser Abbildung ist ohne ausdrückliche Zustimmung des Rechteinhabers untersagt.
Publiziert im September 2018
Zitierweise
Matthias Weber: Immanuel Kant in Werken der modernen Kunst – Bernhard Blume; https://www.bkge.de/Projekte/Kant/matthias-weber/Blume_Johannes_Bernhard.php