Joseph Beuys (1921-1986). Mit seinen sozialpolitischen, antibürgerlichen oft provozierenden Arbeiten war Beuys, der zu den einflussreichsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit gehört, ein unbequemer Vertreter der sog. „Aktionskunst" der 1970er Jahre. Durch seine Theorie der ‚Sozialen Plastik' versuchte Beuys die Kunst in das Alltagsleben zu integrieren. Sein oft zitierter Ausspruch „Jeder Mensch ein Künstler" ist als Aufruf zu verstehen, dass jeder schöpferisch tätig werden soll, um die Gesellschaft zu verändern. Beuys hatte von 1961 bis 1972 eine Professur für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf inne; seine Arbeiten wurden international ausgestellt und sind in Museen weltweit vertreten.
Werk
„Ich kenne kein Weekend"; das Auflagenobjekt (engl. „Multiple"; auch: „Ready Made") ist 1971–1972 entstanden; Auflage: 95 Exemplare, Format: 53 x 66 x 11 cm. Es besteht aus einer Reclam-Ausgabe der „Kritik der reinen Vernunft" von Immanuel Kant, die zusammen mit einer Maggiflasche in den Deckel eines Aktenkoffers montiert wurde. Die Reclam-Ausgabe ist rot bestempelt mit den Worten „B E U Y S: ich kenne kein Weekend". Weitere der sog. „Fluxus-Bewegung" der 1960er Jahre nahestehende Künstler haben graphische Arbeiten beigetragen: Klaus Peter Brehmer (5 Klischeedrucke: „TV-Braunfarben, Testbild 1-5"), Karl-Horst Hödicke (4 Siebdrucke: „Original+Fälschung"; „Jungsozialistin im Wald"; „Wo ist der Maler"; „Wo ist der Elefant"), Peter Hutchinson (Offsetlitho: „Chess Documentation Nr. 10"), Arthur Köpcke (2 Siebdrucke: „Glashaus von innen"; „Glashaus von außen"), Sigmar Polke (3 Offsetlithos: „Weekend"), Wolf Vostell (3 Siebdrucke: „Neujahrsansprache I"; „Neujahrsansprache II"; „TV-Ochsen II"). Der ‚Weekend-Koffer' mit den graphischen Arbeiten wurde von dem Berliner Galeristen Renè Block 1972 als Auflagenobjekt herausgebracht. Da Beuys der bekannteste war, wird sein Objekt "ich kenne kein Weekend" fast immer allein erwähnt, während die Arbeiten der anderen Künstler kaum in Erscheinung treten. (vgl. Art/FN über Ausstellung in Galerie Lutze, Friedrichshafen, 2011 ˂http://www.artfn.de/?p=233˃ Interpretationshinweise: Da es vom Künstler selbst keine Erklärungen zu diesem Werk gibt, wird dessen Aussage unterschiedlich gedeutet: - „Die Kombination aus Maggiflasche und Buch versteht sich als humorvolle Hommage an Immanuel Kant als dem Hauptprotagonisten der deutschen Aufklärung, dem sich Beuys geistig verbunden fühlte". ˂https://www.nbk.org/editionen/joseph_beuys.html˃ - „Der unermüdliche Redner, Aktions- und Ausstellungskünstler Beuys kannte jedoch bekanntlich kein Weekend. Entsprechend klingt der Titel des in den Kofferdeckel eingepassten Objekts – ich kenne kein Weekend – gerade für heutige Ohren wie der Ausspruch eines vielbeschäftigten und stressgeplagten modernen Managers. In der skurrilen Kombination aus Maggi-Flasche und Immanuel Kants Reclam-Ausgabe „Kritik der reinen Vernunft" spricht Beuys von sich selbst und seiner Mission; insbesondere von seiner Geistesverwandtschaft mit dem großen deutschen Aufklärer Kant. Denn gerade Immanuel Kant war es, der die vernunftorientierte Erklärung der Welt wieder mit der Metaphysik, mit Begriffen wie Gott, Seele und Unsterblichkeit versöhnte. Was der Philosophie eines seiner großen Vordenker offenbar noch fehlte, packte Beuys in Form der Maggiwürze in ein hintersinnig-humorvolles Wortspiel: ein Schuss „Mag[g]ie"; vgl. Rita E. Täuber: „Ich kenne kein Weekend, 1971/72". In: Marc Gundel (Hg.): Beuys für Alle! Heilbronn 2010, S. 96; ˂https://www.korff-stiftung.de/kunst-galerie/beuys-joseph/objekte/joseph-beuys-ich-kenne-kein-weekend-1971-72/?L=0˃ - René Block (s.o.) wählte den Titel „Ich kenne kein Weekend" als Motto eines Youtube-Videoclips (https://m.youtube.com/watch?v=1IC-i5T0eCM), in dem er abschließend zusammenfasste: „Als kreative Menschen brauchen wir kein Wochenende. Man kann ja nicht Kreativität am Freitag abstellen; und am Montag früh fange ich wieder mit irgendetwas an. Das ist ja ein durchlaufender Prozess". Durch die Auswahl und gleichrangige Anordnung der beiden in etwa gleich großen Alltags-Objekte (Maggiflasche und Reclam-Ausgabe der „Kritik der reinen Vernunft") in einem Alltags-Gegenstand (Aktenkoffer) sowie durch ihren Farbzusammenhang rot-gelb erzeugt Beuys eine Wechselbeziehung zwischen den Gegenständen. Möglicherweise deutet Beuys damit an, dass die Vernunft im Sinne Kants – eingebettet in den kreativen künstlerischen Prozess – so alltäglich und selbstverständlich werden sollte, wie das Maggigewürz bzw. der Aktenkoffer. (Matthias Weber)
Literatur
Bundeskunsthalle (Hg.): Nur Hier. Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland. Ankäufe 2007 bis 2011. Ausstellung 18.01. – 14.04.2013. Bonn 2013, S. 62 (Abbildungen und Beschreibung)
Kristina Engelhard: Kant in der Gegenwartsästhetik. In: Dietmar H. Heidemann, Kristina Engelhard (Hg.): Systematische Bedeutung und Rezeption seiner Philosophie in der Gegenwart. Berlin, New York 2004, S. 352-382, hier S. 376-278 über „Ready Made".
Rita E. Täuber: „Ich kenne kein Weekend, 1971/72". In: Marc Gundel (Hg.): Beuys für Alle! Heilbronn 2010, S. 96.