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Trachtenerneuerung in Pommern

Jörn Barfod

Die Trachtenforschung für die Zeit des Dritten Reichs geht gern von den Theorien der in den zentralen Dienststellen nationalsozialistischer Organisationen tätigen Mitarbeiter aus. Da ist der Leiter der Abteilung Volkstum/Brauchtum des Amtes Feierabend der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" (KdF), Otto Schmidt, der in einer programmatischen Schrift, "Trachten unserer Zeit", 1939 folgende politische Prämisse aufstellt: "Wer nicht auf dem politischen Kampffelde im Hinblick auf das Teilgebiet ´Volkstumsarbeit´... klar Stellung zu beziehen weiß, der hat nie die große Sinngebung politischer Volkstums-Arbeit und jeglicher politischen Arbeit überhaupt erfasst ..." (1)

Doch fand die praktische Arbeit an der Erneuerung der Trachten beispielsweise weit unterhalb dieser offiziellen und politisch-theoretischen Ebene statt, wenngleich der Anstoß zweifellos durch entsprechende Dienststellen von Parteiorganisationen oder von Verwaltungsebenen kam. Daher stimmt es nicht, dass "bei den radikalen Vereinheitlichungstendenzen der Parteiorgane nach 1933" die Entwicklungen in allen deutschen Provinzen auch nur annähernd gleich verlaufen seien. (2)

Denn für einen Pluralismus in den Bestrebungen zur "Trachtenerneuerung" stand schon die Konkurrenz mehrerer NS-Organisationen: neben der bereits genannten Abteilung des KdF etwa auch bäuerliche Arbeitsgemeinschaften des BDM-Werks "Glaube und Schönheit", Reichsnährstand und - eingeschränkt - die HJ. Eine für die vereinheitlichende Trachtenarbeit gegründete Stelle entstand im März 1939 bei der Reichsfrauenführung mit der "Mittelstelle deutsche Tracht" in Innsbruck am Tiroler Volkskunstmuseum unter der Leitung von Gertrud Pesendorfer. Mit dieser Entscheidung wurde die in Österreich seit den 1920er Jahren laufende Trachtenerneuerungsbemühung gewürdigt und als vorbildlich für das ganze Reich eingestuft. Natürlich blieb die Wirkung dieser "Mittelstelle" begrenzt, da der Kriegsausbruch ihre Tätigkeit zwar nicht ganz beendete, jedoch sicherlich stark einschränkte.

Der Begriff "Trachtenerneuerung" war eine Übertragung der Verhältnisse in Österreich in den 1920er und 30er Jahren auf die Realität in Deutschland der Zeit nach 1933, speziell ab 1939. In vielen Fällen kann aber nicht von einer "Erneuerung" gesprochen werden, weil nichts Altes da war, das hätte erneuert werden können. Am Beispiel Pommerns wird das recht deutlich: "Beginnen wir mit einer Untersuchung der pommerschen Volkstrachten der Moderne. Das Ergebnis ist negativ, da pommersche Volkstrachten so gut wie ausgestorben sind: Eine Tatsache, die sich trotz Trachtenfesten, -tänzen, -filmen nicht leugnen lässt." (3) Doch muss es ein Bedürfnis nach Trachten gegeben haben, denn die Neuerungen auf diesem Gebiet begannen auf unterer Ebene in vielen Orten.

Die Arbeiten zur Wiederaufnahme einer langen Tradition ländlicher Textilherstellung und anderer handwerklicher Tätigkeiten hatten schon längere Zeit vor 1933 angedauert und waren oft aus sozialen Gründen entstanden. Es galt, der Landbevölkerung Betätigungs- und Verdienstmöglichkeiten neben der Land- und Fischwirtschaft zu schaffen, um die Landflucht einzudämmen oder die sozialen und gesundheitlichen Lebensbedingungen zu verbessern.

So liegen etwa die Anfänge des Heimwerks Ostpreußen in den Bemühungen eines leitenden Beamten der Landesversicherungsanstalt im Jahre 1911, Nebenerwerbszweige zu erschließen wie Handweberei, Korbflechterei u. a. Waren diese Tätigkeiten auch vordringlich für die Männer gedacht, so war gleichzeitig die Wiederbelebung der häuslichen Textilherstellung auf den bäuerlichen Betrieben ein Anliegen der Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine (LHV) unter Leitung von Elisabet Boehm, zwar ausgehend von Ostpreußen, doch schnell reichsweit verbreitet. Aus einzelnen Webkursen wurden später entsprechende Ausbildungszweige an weiterführenden ländlichen Schulen. Die Notzeiten nach 1918 verstärkten dann jegliche Bemühungen um eine Stärkung der Eigenversorgung auf dem Lande.

Ein Beispiel aus Pommern sei zitiert, um auch die jeweils ortsspezifischen Umstände zu erkennen, die zu einer Initiative ländlicher Heimarbeit führten: "Da der Fischreichtum an den Küsten bedenklich nachließ, musste eine allgemeine Fischschonzeit von drei Jahren in Aussicht genommen werden. Die einzelnen Landräte wurden [1928] angewiesen, für eine Vorschulung der Fischer auf einen anderen Erwerb Sorge zu tragen, damit diese in den Jahren der Fischschonzeit einen festen Lebensunterhalt hätten. Der Landrat des Kreises Greifswald schwankte zwischen Spargelzucht, Hühnerfarm und Korbflechterei, bis er sich auf Vorschlag des Kaufmanns Grygiel & für die Anfertigung von handgeknüpften Teppichen entschied. Hierfür sprach einmal der allgemeine Mangel an handgeknüpften Teppichen in Deutschland & In Zeitungsanzeigen suchte man den Mann, der eine Teppichknüpferei aufbauen könnte. In Berlin meldete sich ein Künstler, der Südosteuropa und den Orient durchstreift & hatte und im Teppichhandel tätig war. Als guter Kenner orientalischer Teppiche schien er & der berufene Mann zu sein, den Fischern die Knüpfkunst zu zeigen." (4)

Das Interesse an Volkskunde und Volkskunst, die Erforschung dieser Bereiche der kulturellen Überlieferung war seit Beginn des 20. Jahrhunderts allmählich stärker in Gang gekommen und verstärkte sich in den 1920er Jahren sichtlich. Für Pommern lässt sich das im Bereich der Trachtenforschung u. a. erkennen an einer Übersichtsbilanz von Walter Borchers vom Provinzialmuseum in Stettin, die 1932 erschien. Darin spricht sich der Autor gegen eine Pflege der alten Trachten aus: "Und noch das eine wollen wir bedenken und denen zurufen, die gewaltsam eine Wiederbelebung der pommerschen Trachten ins Werk setzen wollen, dass unsere heimischen Trachten bisweilen unhygienisch, krankheitsfördernd und unpraktisch sind. Wir brauchen uns nur der Last von acht bis zwölf dicken gefalteten Warpröcken in einer Spannweite von je fünf Metern - man denke an die Parochie Fritzow - zu erinnern." (5) Allerdings schweigt der Text zu Trachtenerneuerungsbestrebungen. Um Bestandserhebung alter Trachten bemühte man sich in den Jahren um 1930 auch an anderen Orten in Pommern, wie ein "Aufruf des Heimatmuseums zum Sammeln ehemaliger Trachten im Kreis Stolp" von 1931 zeigt. (6)

Es ist auch überliefert, wie diese Sammeltätigkeit als Basis für Erneuerungsbestrebungen schon früh genutzt wurde: "Man traf sich in der Gemeinschaft, griff schon vorhandene Ansätze und ... überlieferte Vorbilder auf und hat mit viel Begeisterung und Phantasie neue ´Trachten´ entworfen, die benötigten Stoffe selbst gewebt, die Kleider genäht und dann auch bei vielen Anlässen getragen. Eine besondere Rolle bei der Förderung dieser Form der Volkskunst spielte die Landjugendschule in Lübzin am Dammschen See. In Anlehnung an Vorarbeiten, die in dieser

Hinsicht in der Bauernhochschule in Henkenhagen geleistet worden waren, wurde sie 1934 von Gertrud Daehling aus Rötzenhagen wesentlich mit begründet. ... Unterstützt von Dr. W. Borchers vom Stettiner Museum fand zunächst eine Bestandsaufnahme der pommerschen Webkunst statt. Die Zahl der Webstühle wurde ebenso erhoben wie alte Methoden des Stofffärbens mit Naturfarben und wie traditionelle Muster. Eine praktische Nutzanwendung dieser Erkenntnisse bot sich beim Entwurf und der Anfertigung der neuen selbst gewebten Trachten. Die Lübziner (genannt seien neben Gertrud Daehling noch Gerda Noack, Röschen Jeske, Luise Buchholz und Sophie Kaiserling) entwickelten in Anlehnung an ältere Vorbilder die Grundlage einer pommerschen Tracht, die dann in den verschiedenen Kreisen variiert wurde." (7) Diese Schilderung lässt erkennen, wie unbekümmert und willkürlich neue "Trachten" geschaffen wurden, die mit alten Verbreitungsgebieten und -formen nichts mehr zu tun hatten. Die seinerzeitigen politischen Kreise wurden die neuen zugeordneten Verbreitungsbereiche. (8) Es gab danach neun verschiedene Trachtenvarianten, auf einer Postkarte zum Reichspommerntreffen im Juli 1934 erscheinen sieben, für die Bereiche Stralsund, Mönchgut, Greifswald, Anklam, Pyritz, Usedom-Wollin und Kammin. (9) Es fällt auf, dass es sich nicht unbedingt um die politischen Kreise handelt, sondern alte Trachtenreliktregionen wie Mönchgut und Pyritz-Weizacker zu anderen Bezeichnungen kommen, die als Kreise oder Regionen gemeint sein könnten. Einige pommersche Gegenden fehlen, nicht einmal alle bei der Betrachtung von Borchers 1932 genannten Herkunftsregionen sind dabei. (10)

















Es entstand eine ganze bunte Reihe von Trachten, die auf eine besondere Gruppe oder für eine spezielle Verwendung gedacht waren. So gab es eine "Volkstanztracht" im Kreis Schlawe, eine Sommer- (Arbeits-), eine Wintertracht und eine Sonntagstracht der Rügenwalder Webschule, dort speziell entwickelt, auch eine Tracht für die männliche Landjugend, bestehend aus einer Weste, einem weißen Hemd und Reithose. Die Frauentrachten waren alle nach demselben Schema der Miedertracht gestaltet, die traditionell ist. Auf den überlieferten Photos und Graphiken ist das nur schematisch zu erkennen. Kurioserweise findet sich aber in der 1943-44 entstandenen Trachtenmappe aus der Dokumentationsarbeit der Mittelstelle deutsche Tracht mit Wiedergaben alter pommerscher Trachtenstücke ein als 1934 entstanden bezeichnetes Kleid aus dem Kreis Pyritz (also der Weizackerregion), das in seiner ganz schlichten Form und der auffällig an "Bauernmöbelmalerei" erinnernden Blumenornamentik auf dem Brustteil nur ein Stück aus den frühen Trachtenerneuerungsbestrebungen eben um 1934 sein kann.

















Rita Scheller verweist in einem Aufsatz zu Erneuerungsversuchen pommerscher Trachten im 20. Jahrhundert auf Vorgaben des Reichsnährstandes, auch in Pommern ein "eigenständisches" Kleid in Anlehnung an alte Trachten wieder einzuführen. Dabei kam folgendes Schema zur Anwendung: "Die Grundfarbe des Kleides im Kreis Kolberg war blau, die im Kreis Köslin braun, die im Kreis Schlawe grün, jedoch in allen drei Kreisen nach dem gleichen Schnitt. ... Im Kreis Ueckermünde trug man längsgestreifte Röcke, im Kreis Randow dagegen quergestreifte .... Im Kreis Stolp ... entwarf man weinrote Mieder und Westen, zu denen wesentlich hellere Röcke in grau oder beige getragen wurden. ... ganz anders wirkte das Weizackerkleid: Trägerrock aus grünem Stoff, roter Querstreifen am unteren Saum, einfarbig grünes Oberteil, das am Latz aber ... mit rotem Plattstich verziert war." (11) Diese Röcke waren aber nur ein erster Anlauf, der sich nicht durchsetzte. Die Bemühungen zur Trachtenerneuerung sollten unter Gertrud Pesendorfer fortgesetzt werden, wozu es wegen des fortschreitenden Krieges aber nicht mehr kommen konnte.

Alle wirklich regional typischen Formen sind ausgeblieben, nur der traditionelle Grundstock der Rock- und Miedertracht blieb erhalten. Das Regionaltypische besteht eigentlich nur noch aus einem Ornament, das noch nicht einmal aus dem Trachtenmilieu stammt. Die Reithose der Männertracht, wie sie auf Photos überliefert ist, gehört nicht in das herkömmliche Trachtenmilieu. Mit der weiten Hose der Mönchguter Männertracht oder der Kniebundhose der Jamunder und ähnlich der Weizackertracht (12) hätte es deutliche Vorbilder gegeben. Ins Zeitschema passten jedoch die seitlich ausgestellten Reithosen (Breeches), deren Herkunft alles andere als ländlich-volkstümlich ist, samt den Reitstiefeln.

Allem Anschein nach hat sich dieser neue Ansatz von Trachtengestaltung in Pommern nicht durchgesetzt. Die Verhältnisse in Ostpreußen wären vergleichbar: Die neuen Trachten entstanden mit der Einrichtung der Webschule Lyck in Zusammenarbeit mit der Mittelstelle deutsche Tracht 1939 und waren bis 1942 ausgeprägt, wurden ab 1949 in den Reihen der organisierten ostpreußischen Vertriebenen in Westdeutschland, initiiert aus der Bundeszentrale der Landsmannschaft, weiter getragen und gefertigt, nun fern der Heimat. (13) Alle Ansätze davor, aus lokaler Eigeninitiative oder von anderen NS-Parteiorganisationen veranlasst, verliefen im Sande.

Nach den Unterlagen der Mittelstelle deutsche Tracht begann für Pommern die Arbeit an der Trachtenerneuerung Anfang der 1940er Jahre. Wie im Falle Ost- und Westpreußens begann man auch hier mit einer Dokumentation alter Trachtenteile aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Das Unternehmen wird kriegsbedingt nur langsam vorangegangen sein. Die hervorragend gefertigten Deckfarbenblätter der Mappe Pommern entstanden nach den Datierungen hauptsächlich 1943 und 1944. (14)

In der spärlich vorhandenen Literatur zur pommerschen textilen Volkskunde findet sich außer der Behandlung der "klassischen" Trachtengebiete nur wenig. Zwei Beiträge seien hier betrachtet. Aus der Anfangszeit der Bemühungen um Tracht erschien 1934 ein Beitrag "Über die Weberei Hinterpommerns" (15). Die Verfasserin sah damals "wenig Aussicht, das altehrwürdige Handwerk der Weberei wieder zu beleben." Doch machte sie eine Ausnahme: "Nur in Hinterpommern scheint die absterbende Überlieferung neuerdings einen frischen Auftrieb zu bekommen."

Von entsprechenden Ansätzen der Zeit um 1900 und später in den 1920er Jahren scheint die Verfasserin nichts mitbekommen zu haben. Dass den verschiedenen Trachterneuerungsansätzen Anfang der 1930er Jahre keine zentrale Lenkung zugrunde lag, sondern sie wirklich einzeln und an verschiedenen Orten zerstreut auflebten, belegen etwa die Unternehmungen in Lübzin (s. o.) oder in Waren (Mecklenburg). (16) Eine Zentralisierung beginnt eben erst 1939 mit der Mittelstelle deutsche Tracht.

Im Text über die Weberei Hinterpommerns geht es um mystifizierte Überlieferungen, "etwas Geheimnisvolles, ein wenig Zauberhaftes, das im Grunde nur Großmutter und Urgroßmutter beherrschten", an das aber nun wieder angeknüpft würde. Interessant sind Erwähnungen verschiedener Orte, an denen traditionell oder neuerdings gewebt und zum Teil Tracht gepflegt wurde, 1934: Werkstätte Gebrüder Lange in Friedrichshuld bei Treten, Kreis Rummelsburg, deren Betrieb sich auf eine von Friedrich d. Gr. in Pommern begründete Damastweberei zurückführte, Weberei für Trachten in Jamund und Pyritz, entstehende Weberei in Henkenhagen bei Kolberg, anknüpfend an frühere Heimweberei von Bauern und Fischern, die Henkenhagener Schürzen arbeiteten, neu begründet durch Kräfte der "Henkenhagener Bauernhochschule" (s. o.); schließlich die Kolberger Webschule, die in Verbindung mit der Kolberger Landwirtschaftsschule gegen 1930 entstanden sein muss. In ihr wurde "die heimische Weberei durch einen Einschlag nordischer Kunst belebt". Die Verfasserin blickt im abschließenden Satz auf eine längere Arbeit der Kolberger Webschule zurück: "Schülerinnen aus Pommern und aus der Eifel, aus dem Spreewald und aus Siebenbürgen haben sich auf die vergessene Kunst hier besonnen und arbeiten nun in ihrer heimatlichen Tradition weiter, angeregt durch das, was die Kolberger Webschule zu bieten vermochte." Hinweise auf irgendeinen Ansatz zur Trachtenerneuerung gibt es hier nicht.

Erst acht Jahre später, 1942, erschien ein Aufsatz, der zur Trachtenerneuerung aufrief, angelegt am Beispiel der Weizackertracht, aber für ganz Pommern gemeint, wie schon der einleitende Satz zu erkennen gibt: "In wenigen Jahrzehnten hat die alte, schöne Weizackertracht im ehemaligen Gebiet des Klosters Kolbatz das Schicksal anderer pommerscher Volkstrachten ereilt. Sie ist um 1940, wie schon vor ihr die Belbucker, Jamunder und Fritzower Tracht, ausgestorben." (17)

Nach Erörterungen über einstige Bedeutung und Verfallsgründe der alten Tracht ruft der letzte Abschnitt des Textes zur Trachterneuerung auf. Die Begründungen beruhen auf den inzwischen verfassten Grundsatztexten zur Trachtenarbeit im Dritten Reich (18), die geschilderte Vorgehensweise beschreibt im Kurzen die Arbeit der Mittelstelle deutsche Tracht, ohne diese jedoch zu nennen. Unter dem Ausruf "Deshalb: neue Weizackertracht" liest man: "... neue Tracht auf altem Grund. Die Aufgabe lautet: eine in gesundheitlicher Hinsicht zeitgemäße neue Kleidung zu schaffen, die, wenn sie sich einmal als wirklich artgemäß erwiesen hat, auch Tracht heißen kann, und hierbei weitgehend auf der alten Tracht aufzubauen." Mit dem Folgesatz: "Mit der Übernahme der altbewährten Bauernfarben allein ist es nicht getan." werden wohl die früheren, freien Neuschöpfungen der Jahre um 1934 gemeint sein (man denke nur an die Lübziner Kleidvariationen oder das in der Trachtenmappe 26, Pommern, der Mittelstelle deutsche Tracht wiedergegebene Kleid aus dem Kreis Pyritz von 1934). Die am Anfang der Arbeit der Mittelstelle stehenden Dokumentationsbemühungen werden hier so gefordert: "Es gilt, die alte Weizackertracht bis ins einzelne zu studieren und bei jedem einzelnen Teil zu prüfen, ob und wie man bei der neuen Gestaltung darauf aufbauen könnte."

Der Text erwähnt nur sehr beiläufig, dass es schon einzelne Ansätze zu Erneuerung gegeben hätte: "Die bisherigen Versuche, eine neue Tracht zu schaffen, können nur als Ansätze gewertet werden, bei denen man nicht stehen bleiben darf." In einer Fußnote dazu verweist die Verfasserin auf "die Bemühungen des Reichsnährstandes, eine gültige Grundform der bäuerlichen Kleidung zu schaffen, die dort, wo ihre Vertiefung und Ausgestaltung nach arteigenen Zügen gelingt, zu einer landschaftlich gebundenen Volkstracht werden kann."

Mit der "Grundform" ist natürlich das Rock- und Mieder-Schema gemeint, wie es auch den Erneuerungsentwürfen der Mittelstelle zugrunde lag. Leider, aber wohl nicht ohne Grund, werden regionale Trachtenerneuerungsbemühungen in Pommern nur ganz schwach angedeutet: "Hierüber hinaus liegen im Weizacker auch einige selbstständige Versuche in gleicher Richtung vor." Offenbar galten diese nicht als fundiert und Erfolg versprechend, sodass darüber nichts weiter erwähnt wird. Außerdem macht der ganze Tenor dieses Textes deutlich, dass ein wichtiger Neuanfang erst noch bevorstand. Natürlich kam es in den späteren Kriegsjahren nicht mehr dazu.

Es gibt noch ein Indiz aus der späteren Tradierungsgeschichte der pommerschen Trachten, das darauf hinweist, dass keine Trachtenerneuerung in den 1930er Jahren nachhaltige Spuren hinterlassen hat. Während bei den organisierten vertriebenen Ostpreußen die sog. erneuerte Tracht als "Ostpreußenkleid" seit 1949 getragen und gefertigt wurde und wird, blieb es für die vertriebenen Pommern bei den traditionellen Regionaltrachten, die sich hinsichtlich ihrer materiellen Hinterlassenschaften als längst nicht "um 1940 ausgestorben" erwiesen, wie es Anneliese Kasten in ihrem Aufsatz von 1942 behauptet hatte.

Die jüngste umfangreichere Veröffentlichung pommerscher Volkstrachten nennt drei Ansätze, die Trachten nach 1945 wieder zu dokumentieren und zur Nacharbeit aufzubereiten: "Der Versuch, die alten pommerschen Trachten nachzuarbeiten, wurde des öfteren unternommen. Es war mühsam, weil nur wenige Einzelstücke gerettet worden waren. ... Ein guter Anfang waren ... die von Max Radau in den 50er Jahren herausgegebenen Trachtenblätter. ... Die 1975 von Helga Palmer und Ingeborg Bansleben herausgegebene Mappe ´Ostdeutsche Trachten´ stellt drei pommersche Trachten vor. Hier wurde aber unserer Meinung nach zu sehr dem Zeitgeist nachgegeben, der das Dirndl schlechthin als Tracht empfindet. Die Fragen nach einem Kultur- und Arbeitsbuch für pommersche Trachten wurden immer lauter, besonders auch von den "Pomeranians" in den Vereinigten Staaten von Amerika. So bildete sich Mitte der 80er Jahre eine Arbeitsgruppe von zunächst sechs Frauen ...." (19)

Offenbar glaubte man, ganz von vorn anfangen zu müssen. "Vielleicht war nicht allen bewusst, was auf sie zukam. Jedenfalls sollte es acht Jahre dauern, bis fünf pommersche Trachtenpaare ... soweit hergestellt waren, dass sie ausstellungsreif waren." Man hatte Literatur und alte "Teilstücke" zur Anschauung. Von "erneuerter Tracht" und den ca. 60 Jahre zuvor dazu angestellten völkischen Überlegungen keine Spur. Lediglich der Gedanke der Tragbarkeit wird noch betont. Ansonsten legt man aber Wert darauf, dass die Trachten "den vorhandenen Originalbeschreibungen soweit wie möglich nahe kommen." Sogar eine Transparenz hinsichtlich der erfolgten Veränderungen wird angestrebt: "Damit deutlich wird, was ´original´ und was aus der Erfahrung gewonnene Empfehlung ist, haben wir unsere Vorschläge und die wichtigsten Auszüge aus den Originalbeschreibungen gegenübergestellt ...". Der Weg, den die Initiatoren (mit Unterstützung der pommerschen Landsmannschaft, wie das Geleitwort von Philipp von Bismarck zeigt) hier wählten, war also ganz anders als die Trachtenarbeit beispielsweise der Landsmannschaft Ostpreußen seit 1949.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die verschiedenen individuellen Ansätze zur Trachtenerneuerung in den 1930er Jahren in Pommern nie überörtliche Bedeutung erlangt haben. Der zentral gelenkte Ansatz der "Mittelstelle deutsche Tracht" kam erst so spät, dass er in den Kriegsjahren 1942-44 keine Wirkung mehr entfalten konnte. Die Trachtenimpulse für den Kreis der Vertriebenen nach 1945 beziehen sich denn auch ausschließlich auf tradierte Regionalformen, wobei zunehmend sogar quellenkritisch gearbeitet wurde. (20)

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URL zur Zitation dieses Beitrages: https://www.bkge.de/weizackertracht/7999.html


Anmerkungen

(1) Schmidt 1939, S. 7f.

(2) Schmitt 1987, S. 205.

(3) Borchers 1932d, S. 164.

(4) Strohschein 1939, S. 14f. Über die Entstehung der Fischerteppiche vgl. auch Müns 1993, spez. S. 73-79.

(5) Wie Anm. 3.

(6) Aufruf des Heimatmuseums 1931.

(7) Krause 1986, S. 241-2.

(8) Deutlicher wird ein solches willkürliches Vorgehen in einer zeitgenössischen Quelle über Mecklenburg geschildert, ebenfalls aus den Jahren ab 1933 bis ca. 1936: "Die Entwicklung in Mecklenburg ging von der Partei aus. Wir hatten uns bei dem ... ´braunen Kleid´ einige Beulen geholt, weil wir verlangten, es müsse handgewebt sein. Da warfen wir kurzerhand das Steuer herum und suchten die Tracht! ... Wir gingen nun am Anfang unserer Arbeit ... etwas gewaltsam vor. ... Wir malten auf einer großen Karte von Mecklenburg Trachtenbezirke! Wir kamen zunächst auf drei Trachtbezirke hinaus, und da wir ganz Mecklenburg erfassen wollten, erweiterten wir kurzerhand die einzelnen Bezirke, bis sie einander berührten. ... Ich kann es heute ganz verstehen, wie entsetzt jeder Trachtenforscher bei solcher Gewalttätigkeit sein muss." aus Brenke 1938, S. 64, 67. (Dies ist auch wieder ein Beleg dafür, dass im Dritten Reich die Trachtenerneuerung ein Ersatz für die ursprünglich vorgesehene Uniformierung der ländlichen Gruppen der Partei und der Massenorganisationen gewesen sein kann.)

(9) Vgl. Krause 1988, S. 83.

(10) Borchers (wie Anm. 3, S.167) nennt: "in Vorpommern: Hiddensee, Ummanz, Mönchgut (Kreis Rügen), in Mittelpommern: den Lieper Winkel (Kreis Usedom-Wollin), die Parochie Fritzow und Laatzig (Kreis Cammin), die Belbucker Abtei oder Abdü (Kreis Greifenberg), den Weizacker (Kreis Pyritz und Greifenhagen), das Oderbruchgebiet um Fiddichow und Nipperwiese (Kreis Greifenhagen), das Dorf Grünz (Kr. Randow), einige Dörfer im Kreise Saatzig, vor allem Saatzig; in Ostpommern: Jamund und Labus (Kr. Köslin) und das Gebiet zwischen Lupow und Leba (Kr. Stolp)." Borchers nennt darüber hinaus noch einige Gebiete mit "halb ländlicher, halb städtischer Tracht" (Halbtrachten).

(11) Scheller 1981, hier S. 40f.

(12) Vgl. Adler [1930], S. 29-30, Abb. 61, 64. Für die Blumenornamente vgl. zwei Brautstühle Abb. 36, 38.

(13) Vgl. Barfod 1990.

(14) Für die freundliche Überlassung einer Farbkopie der Blätter in der Mappe Pommern ist der Leitung des Tiroler Volkskunstmuseums in Innsbruck herzlich zu danken.

(15) Dibbelt 1934, S. 192-194.

(16) Vgl. Brenke 1938.

(17) Kasten 1942.

(18) Vgl. Hecker 1939, Pesendorfer 1940.

(19) Haenel/Saenger/Hackbarth 1995, S. 7.

(20) Die erwähnte Kritik an der Mappe "Ostdeutsche Trachten" von 1975 spricht vom "Zeitgeist &, der das Dirndl schlechthin als Tracht empfindet", meint damit freilich auch den Zeitgeist der 1930er Jahre und der Trachtenerneuerung unter Gertrud Pesendorfer, der die Mappe "Ostdeutsche Trachten" auch gewidmet wurde. Mit historischem Argument kritisiert eine Bearbeitung mecklenburgischer Trachten 1991 die Trachtenerneuerung der 30er Jahre: "Besonders in den 20er und 30er Jahren unseres Jahrhunderts war die Dienstmädchenkleidung als ´Volkstracht´ sehr verbreitet. Hier muss von einer lieb gewonnenen Vorstellung Abschied genommen werden." (Als Beispiel wird ein um 1933 in Wismar angefertigtes Volkstanzkostüm (sic!) abgebildet, das ganz dem Zuschnitt der Trachtenerneuerung entspricht, wie er in den 1930er Jahren propagiert wurde. Vgl. Nieske 1991, S. 7, 11.)

Stand: 13.12.2011
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